Samstag, Juni 06, 2015

Internationaler Tag der Milch - Interview mit Dr. Daniel Kofahl

Internationaler Tag der Milch - Milch früher hoch geschätzt heute oft verpönt.

hier zum anhören bzw. download (VLC-Player notwendig)

Ein Interview mit dem Ernährungssoziologen und Esskulturwissenschaftler Dr. Daniel Kofahl (Uni Trier / Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur) auf Deutschlandradio Kultur.

Dienstag, Juni 02, 2015

Ernährungssoziologie im Internet

Fragen zur Ernährungssoziologie?

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Buon Appetito!


Dienstag, März 17, 2015

Sind hier wirklich alle auf Salat?

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Bio- und Veganhype als Greenwashing unserer Ernährungskultur 

Es sind unter anderem Aussagen wie „Bio ist keine Nische mehr“ oder „Bio ist zur Massenbewegung geworden“, die den Eindruck entstehen lassen, die Ernährung mit Lebensmitteln aus ökologischem Anbau sei längst esskultureller Standard. Wenn auf dem im Februar in Nürnberg stattfindenden größten Bio-Kongress  der Welt, inklusive Fachmesse, der Biofach, die neusten „Zahlen, Daten, Fakten“ zum Biomarkt vorgestellt werden, dann ist das eine nicht enden wollende Laudatio auf einen scheinbar ungebremsten Wachstumsmarkt mit Post-Wachstumsökonomie-Anspruch: „Bio wächst“ hört und liest man allerorten, und das sei auch gut so, denn „bio aus Deutschland ist nicht nur für die deutsche Landwirtschaft gut, sondern auch für Umwelt, Natur und Klima“, so Landwirtschaftsminister Christian Schmidt.  Da geht es fast ein bisschen unter, dass auch darauf verwiesen wird, dass „das Potential noch lange nicht ausgeschöpft sei“. Um wieviel Potential handelt es sich dabei denn eigentlich?

Die Frage lässt sich schnell beantworten: Um ziemlich viel! Ja, es ist richtig, dass der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln seit Jahren immer weiter wächst. Ja, es ist richtig, dass die ökologisch bewirtschaftete Gesamtfläche in Deutschland ebenfalls gewachsen ist. Und dass trotz nicht weniger Rückumstellungen von biologische auf die sogenannte konventionelle Landwirtschaft auch die Zahl der Biobetrieb noch einmal zugenommen hat. Wenn jedoch Wachstumskennziffern von 4,8 Prozent genannt werden, dann muss man sich vor Augen halten, dass es nicht 4,8 Prozent vom gesamten deutschen Lebensmittelmarkt sind. Es handelt sich um 4,8 Prozent von dem bisher schon durch Bioprodukte gedeckten Anteil. Der liegt beim Gesamtlebensmittelmarkt von Deutschland bei 3,7 Prozent! Über 96 Prozent des Lebensmittelmarktes werden also von Nicht-Bio-Produkten bestritten. Bio schrumpft aus dieser Perspektive sehr schnell von einem Scheinriesen der Massenbewegung zurück zu einem Nischenzwerg, der vielleicht kräftig und stabil, aber vor allem eins ist: nämlich klein

Ein anderer ernährungskommunikativer Hype, der in den letzten Jahren in einer Art Redespirale aufgewirbelt wurde, ist der um vegetarische beziehungsweise vegane Ernährungspraktiken. Die Thematisierung einer Ernährung die weitestgehend auf tierische Produkte verzichtet, ist so omnipräsent, dass man meinen könnte, wer noch Eier oder Fleisch isst, am Ende gar täglich, gehört zum störrischen Teil einer beratungsresistenten Essminderheit. Und war nicht sogar das vegane Kochbuch des charismatischen Esscoachs Attila Hildmann  2013/14 auf Platz 1 der Bestsellerliste des Kochbuchmarktes? In den Bahnhofsbuchhandlungen liegen hohe Stapel Veggie-Magazine und wer mit einer Bratwurst in der Hand oder beim guten Italiener mit einer klassischen Lasagne erwischt wird, bekundet sofort, er sei eigentlich Flexitarier, ernähre sich also im Grunde fleischfrei, nur ganz selten, zum Beispiel eben jetzt, esse man schon mal ein ganz kleines bisschen Fleisch. Und steigt nicht der Umsatz mit vegetarischen und veganen Produkten beständig? Ja, tut er. Nur scheint es ein zusätzlicher Markt zu sein, der hier entstanden ist. Der Fleischkonsum mag nämlich nach einem krassen Höchstwert in der zweiten Hälfte der 1980er deutlich zurückgegangen sein, in den letzten Jahren hat sich der Absatzmarkt für Fleisch allerdings ziemlich stabil eingependelt, ein zaghafter Rückgang von zwei Kilogramm pro Person ließ sich 2013 erkennen. Das kann aber durchaus eine der üblichen Schwankungen sein. Blickt man über die Landesgrenze in Richtung Schweiz, wo der kommunikative Bio- und Veganer-Hype ebenfalls unübersehbar ist, konnte man etwa lesen, dass der Fleischkonsum 2013 um ein Kilo pro Kopf wieder angestiegen ist, global ist das sowieso der Trend. Und die Fleischproduktion in Deutschland erreichte, nach drei Jahren in denen ein Rückgang zu verbuchen gewesen ist, 2014 einen neuen Höchststand. Dazu passt, dass auf das vegane Lehrbuch von Hildmann sogleich Weber’s Grillbibel auf Platz 2 der Charts folgte. Es kauft eben nicht nur das eine Prozent der Bevölkerung, das sich selbst als Veganer einstuft – den Forscher juckt es in den Fingern, sich den realen Essalltag jenseits der Selbsteinschätzung anzuschauen – Kochbücher, sondern auch die anderen 99 Prozent, wenngleich die durch ererbte Kochbücher oder Internetplattformen vielleicht bereits mit Grundrezepten einer omnivoren Ernährung versorgt sind.

Es ließen sich noch zahlreiche Beispiele aufführen, warum es sich um soziokulinarische Fata-Morganen handelt, wenn von fleischlos-grünen-Essbewegungen der „Masse“ die Rede ist. Da gibt es Zeitungsartikel mit der Überschrift „Mit veganer Fröhlichkeit gegen Zweifler und Nörgler“, aber darunter wird lieber doch ein Rezept für „Knusprigen Fisch“ zum nachkochen empfohlen. Und dass sich der Ernährungswandel einfach sukzessive über die jüngere Generation durchsetzt, das bezweifeln nicht nur wissenschaftliche Studien, die keinen Zusammenhang zwischen Alter und bio- oder veganem-Einkaufsverhalten sehen. Auf Youtube zählt 2014 ein Musik-Video über 9 Millionen Zuschauer, in dem zwei Rapper behaupten, dass „vom Salat der Bizeps schrumpft“ und fröhlich eine proteinreiche Ernährung mit Fleisch feiern, nicht unähnlich einem anderen Ernährungstrend der letzten Jahre, der Paleo-Diät. Die Gesellschaft für Konsumforschung wies zuletzt darauf hin, dass 85 Prozent der Deutschen Fleischessen als „selbstverständlich und naturbewusst“ empfinden und 83 Prozent wollen den Fleischkonsum auch keinesfalls reduzieren. Veggiewende? Naja.

Was kann man nun für eine gesellschafswissenschaftliche Analyse aus der beobachteten  Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdthematisierung  und tatsächlich praktizierter Ernährungspraxis anbieten? Da nicht alle kommunikativen Akteure des bio-veganen Ernährungsdiskurses ein ökomisch-betriebswirtschaftliches Interesse am Boom dieser Ernährungsstile haben, muss über ein Selbstmarketingkonzept hinaus gedacht werden. Es liegt der Verdacht nahe, dass hier eine Form des kommunikativen Greenwashings betrieben wird. Denn fraglos gibt es sehr wohl gute Gründe für eine Ernährung, die stärker auf Produkte aus biologischem Anbau zurückgreift. Zuvorderst wären diesbezüglich die reduzierten, externalisierten Umweltkosten zu nennen, die im Ökolandbau eingespart werden, sowie die stärker auf das Tierwohl bedachten Haltungsbedingungen. Dass das Mensch-Tier-Verhältnis in der industriellen Landwirtschaft an etlichen Stellen bedenkliche Formen angenommen, lässt sich kaum mehr ignorieren. Das soll nicht heißen, dass jeder konventionelle Bauer ein böser Massentierhalter ist. Aber die nun mal auch wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse, dass Schweine, Rinder oder Hühner nicht nur dumpfe Biomasse sind, sondern durchaus über  eine weitergehende Intelligenz und kognitive Fähigkeiten verfügen, macht die Sache auch für das Selbstverständnis des Menschen als Menschen kompliziert. Für eine Ernährung mit zumindest reduziertem Fleischanteil spricht ferner, dass die Fleischproduktion sehr ressourcenintensiv und zudem gesundheitlich, wie auch in vielen Fällen kulinarisch zweifelhaft ist. Lauter gute Gründe, doch der Wandel der Praxis zeigt sich zäh und widerspenstig.

Das ist kein Wunder. Bio-Lebensmittel etwa sind deutlich teurer als diejenigen aus konventioneller Produktion. Der Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) fordert nun unentwegt, die Preise für konventionelle Produkte müssten die externalisierten Kosten widerspiegeln und teurer werden. Sicher, das würde die Preisspanne ausgleichen – und mächtig ins Kontor von Millionen begrenzter Haushaltsbudgets schlagen. Fraglos, Lebensmittel sind in Deutschland vielfach günstiger als im Ausland, aber Geld kann auch in Deutschland nur einmal ausgegeben werden. Müssen die Verbraucher auf einmal hunderte Euros im Jahr mehr für Essen und Trinken ausgeben, werden sie zwangsläufig irgendwo anders sparen und womöglich Zeitungsabonnements kündigen, und damit den qualifizierten Journalismus weiter gefährden, aus Vereinen oder Parteien austreten, weniger Kultur- und Sporteinrichtungen besuchen und so weiter und so fort. Dem Argument, dann sollten sich die Menschen einfach nach den mehr puristisch-gesundheitsbewussten Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) anstatt quantitativ-genussorientiert ernähren, darf man allerdings entgegenhalten, dass sich Ernährungsverhalten nicht einfach mit moralischen Reden und komplexitätsreduzierten Übersichtspyramiden ändern lässt. Die Ernährungspraxis ist eine der verkörperlichsten Handlungsroutinen der Menschen überhaupt und sie ist massiv mit der Lebensstilkultur sowie der sozialen Identität von Personen verbunden.

Wollte man einen wirklichen massentauglichen Ernährungskulturwandel in Richtung Bio und fleischreduzierter Kost in der Bevölkerung fördern, müsste man an sehr viel schwierigeren, makropolitischen Stellschrauben drehen: der Einkommensentwicklung und der Bildung. Damit korreliert ein reflexiver, umwelt- und gesundheitsorientierter Ernährungsstil nämlich ganz erheblich. Wohl auch, weil dies die relativ umständliche habituelle und zumeist auch kostenintensive Umstellung begünstigt. Solange man dies aber nicht tut, sondern anstatt auch kritisch-konstruktive Stimmen anzuhören, lieber auf den gestiegenen Konsum von Bio-Eiern verweist, während fast das gesamte Rindfleisch aus konventioneller Haltung konsumiert wird, solange handelt es sich bei dem kommunikativen Hype um bio- und vegane Ernährung um einen grünen Anstrich, den sich die Gesellschaft in Bezug auf ihre Ernährungskultur gibt, die in ihrer Ernährungspraxis weiterhin durch und durch konventionell is(s)t.



Samstag, Februar 07, 2015

Pizza im Briefkasten – Onlinemarkt für Lebensmittel

Es gibt neue Geldspritzen des Investors Oliver Samwert für die Essensbestellplattformen Lieferheld.de und Pizza.de. Wie auf anderen Marktsegmenten, zum Beispiel für Bücher, Fashion, Elektrogeräte et cetera, wird auf ein erhebliches Wachstumspotential bei Online-Einkäufen von Lebensmitteln und Speisen auf dem deutschen Markt spekuliert. Dafür gibt es sehr gute Gründe, die jedem ersichtlich sind – von Arbeitsteilung und Bequemlichkeit bis hin zu kluger Zeitökonomie ist alles dabei. Zudem gibt es vergleichbare Unternehmen mit einem Umsatzplus und Expansionsstrategie bereits in anderen Ländern. Also alles so sicher, wie der Standardburger bei McDonald’s?

Jein. Ernährung ist kompliziert, und zwar so kompliziert, dass es komplex wird. Und das betrifft nicht nur Proteine. Ein gravierender Unterschied zu den anderen aufgezählten Konsumgütern liegt darin, dass sich Konzepte aus anderen Ländern in Bezug auf Essen und Trinken nicht so einfach standardisiert globalisieren lassen. Selbst McDonald’s stößt da gerade an seine Grenzen. „Konsolidierung statt Expansion“ heißt das dortige Jahres- womöglich gleich Jahrzehntmotto.

Die Ernährungskulturvielfalt ist einfach (oder auch nicht so einfach) um ein vielfaches größer, als die von Elektrogeräten, auch die Buchdruckkultur - unabhängig vom Inhalt der Bücher - ist weltweit weitestgehend diegleiche. Fraglos nicht total standardisiert. Aber das Buch als mediales Format ist viel redundanter sowie temporal stabiler als Speisen. Die Halbwertszeit von nutritiver Identität und kulinarischer Konsistenz ist selbst schon bei Trockenfleisch fluide, regionalisiert (was auch in einem hochmodernen Sinne von autarken räumlichen Einheiten getrennt gesehen werden kann) und sehr instabil, also dramatisch vergänglich. Bei Pizza, Gänsestopfleber und Veggieburgen nimmt das ganze kaskadenartig verschachtelte kaleidoskopische Formen an.

Der Appetit der Essenden kann sich schlagartig verändern und im Gegensatz zu Büchern oder Fashion, können Lebensmittel in vielen Fällen dann doch nicht einfach in den (Gefrier-)Schrank gehangen oder umgetauscht werden, vor allem nicht, wo ein Attribut wie „Frische“ eine so wichtige Rolle zu spielen begonnen hat. Und „Frische“ ist nur ein Punkt unter vielen verschiedenen, sich in zahlreichen Fällen widersprechenden, Attributen, die unterschiedlichste Ernährungskulturen in ihre Paradigmen eingeflochten haben: Authentizität, Geschmack, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Natürlichkeit und so weiter und so fort. Diese Attribute sind der Treibstoff gastronomischer Hyperkomplexität.

Auf der anderen Seite ist das Potential der Geschäftsidee, wie bereits gesagt, einleuchtend. Allerdings sollte der Vergleichspunkt nicht der bisher thematisierte Konsumgütermarkt sein, sondern das Nächstliegende, an soziokultureller Komplexität und heiklen Schema ähnlichste Segment ist das der Dienstleister für Partnersuche und Liebesdienste im Netz. Denn Wollust und Völlerei liegen nicht nur in Dantes Höllenkreisen eng beieinander, sondern bereits auf Erden. Beide sind sie jedoch vielfältig binnendifferenziert. Das macht Beobachtungen, im speziellen von beobachtenden Beobachtern die Essbares von Nicht-Essbarem unterscheiden, ungemein plausibel. Sofern man das Büffet an Aussagen die sich am Prognoseintervall lümmeln einschränken – komplexitätsreduzieren – möchte.

Samstag, Januar 24, 2015

NEU: Die Komplexität der Ernährung in der Gegenwartsgesellschaft

Die Komplexität der Ernährung in der Gegenwartsgesellschaft

Soziologische Analysen von Kultur- und Natürlichkeitssemantiken in der Ernährungskommunikation

Die Ernährungskultur in der Gesellschaft der Gegenwart ist geprägt von hoher Komplexität und widersprüchlichen Prämissen. Man hat es mit einer Ernährungskultur der Ernährungskulturen zu tun. Im Spannungsfeld der Differenz von Natürlichkeit und Kultur haben sich dabei verschiedenste Ernährungsidentitäten herausgebildet. 

Der vorliegende Band versammelt Aufsätze, die sich dem Phänomen der modernen Ernährung aus unterschiedlichen Richtungen nähern, etwa der Kunst, der Religion, der Emotionen oder der Nachhaltigkeit. Ergänzt wird die Arbeit durch einen kommunikationstheoretischen Teil. Dieser unternimmt den Versuch, eine paradox aufgebaute Form des sozialen Phänomens der Ernährung zu identifizieren und für anschließende Analysen und Forschungen fruchtbar zu machen. 


Daniel Kofahl (2015): Die Komplexität der Ernährung in der Gegenwartsgesellschaft: Soziologische Analysen von Kultur- und Natürlichkeitssemantiken in der Ernährungskommunikation. Kassel University Press. 310 S. ISBN: 3862195538

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Mittwoch, Januar 21, 2015

Ernährungs(r)evolution durch Dschungelcamp? – Vom Insekten essen und Würmer schlemmen


Jetzt ist es wieder soweit. Die neue Staffel Dschungelcamp ist gestartet und es geht auf ausgetretenen Pfaden weiter. Das gilt auch für die kulinarischen Episoden, denn wieder werden Insekten, Würmer und anderes Kleinstgetier auf den Speiseplan gesetzt. Diese essthätisch zweifelhaften Prüfungen sind ein Garant für die Aufmerksamkeit des Publikums und, was noch interessanter ist, für die anhaltenden, öffentlichen Diskussionen über das Fernsehformat hinaus. Zu kaum einem anderen Aspekt des Dschungelcamps werden so viele Anschlusskommunikationen produziert, wie zu den dort im Fokus der Aufmerksamkeit stehenden Ernährungspraktiken. 


Insekten und Würmer stehen in Zeiten, in denen die Weltbevölkerung wächst, die ökologischen Ressourcen dagegen knapp werden, allerdings schon seit längerem auch als potentiell günstige und nahrhafte Nahrungsmittel der Zukunft in der Debatte. Nicht nur B- und C-Promis im Privatfernsehen oder besonders mutige Weltreisende verspeisen Heuschrecken und Grillen, auch Wissenschaftler oder Umweltaktivisten werden nicht müde, sich bei deren Verzehr zu zeigen. Ihr Ziel: Aufklärung betreiben und kulinarischen Ekeln entgegenwirken. 

Der sogenannte Ekelfaktor ist ein ganz entscheidender, beim Dschungelcamp und ebenso bei der Diskussion über das Essen von Insekten und ähnlichem Getier. Gerade im Dschungelcamp wird der Ekel noch einmal ganz besonders inszeniert. Die Kandidaten winden sich, verziehen das Gesicht, würgen und übergeben sich. Doch die meisten überwinden sich und essen, was ihnen vorgesetzt wird. Hilft das den Zuschauern, ihren eigenen Ekel vor Kakerlaken, Maden und ähnlichem zu bewältigen und vielleicht doch einmal zu Heuschrecke in Mangosoße zu greifen?

Insektenessen ist heutzutage nicht nur in Fernsehshows präsent. Es ist zum Beispiel auch Thema von seriösen Dokumentationen oder Universitätsseminaren. Studentinnen diskutieren sachlich, ohne eine Miene zu verziehen, über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten, alltägliche Ernährungspläne durch Insekten und Würmer zu ergänzen. Auf Arte wird von einer industriell organisierten Aufzucht von Insekten in der Nähe von Toulouse berichtet, zerkleinerte Mehlwürmer werden dann nachher in Keksen verarbeitet und vor den Augen der Zuschauer verkostet. Alles ganz unaufgeregt. Es wird darauf hingewiesen, dass sie viele Nährstoffe enthalten und bei der Zucht nur einen verhältnismäßig geringen Ressourceninput benötigen. Eine effiziente Nahrungsumwandlung nennt man das. Wenn man dies sieht oder die Diskussion der Studentinnen verfolgt, kommt ein Ekelgefühl gar nicht mehr  auf.

Anders als beim Dschungelcamp. Zum einen fällt es sowieso schon schwer, irgendwelche Identifikationsambitionen mit dem Dschungelpersonal zu entwickeln. Es sind merkwürdige Personen die aus obskuren Gründen  skurrile Dinge tun. Zum anderen werden die Insektenspeisen auch noch immer wieder anderen, etablierten Lebensmitteln zum Vergleich gegenüber gestellt. Wenn dann die Camper erleichtert zum Schokoriegel oder ähnlichem greifen, lässt das die Insektenmahlzeit in einem extra schlechten Licht stehen. Hier wird nicht gelernt, einen eigentlich unbegründeten Ekel rational zu bezwingen, sondern er wird stattdessen noch einmal selbstquälerisch verstärkt. Eine sanfte Ernährungs(r)evolution des vorherrschenden Speiseplans, bei der der Ekel vor Insekten und Würmern langsam abgebaut wird, sieht anders aus. Das irrationale Nahrungstabu, Kleinsttiere zu verzehren, wird wohl trotzdem, aber außerhalb des Dschungelcamps überwunden werden.

cupcake der aus mehlwuermern gemacht und mit einer heuschrecke garniert ist